Gammelfleisch
oder
Eine unverschämte Berlinerin
Die Katze lässt das Mausen nicht, und auch der ergraute Kater geht noch auf Pirsch nach einem lockeren Vögelchen. Das sind uralte Instinkte, gegen die bist du machtlos. Frag den Kater!
Als ich neulich Freigang hatte (meine Frau war zum Seniorenturnen und anschließend zum Wettschaufeln mit Kuchengabeln), da spürte ich ihn wieder, den alten Jagdtrieb, der vor Jahrtausenden schon den Homo erectus gezwiebelt hat.
Ich hatte meine Adipositas und meinen potenziellen Erectus in Markenjeans gezwängt, den entzündeten Fersensporn in gut gepolsterte Laufschuhe gebettet und die schütteren, schröderbraun gefärbten Haarsträhnen mit einem forschen Basecap bedeckt – so federte ich durch die Straßen Berlins, betont dynamisch, fast wie ein Youngster.
Nach Berlin zieht es mich, weil dort das wilde Leben pulsiert. Und was kaum einer hinter meiner betagten Fassade vermutet: Es kocht noch in mir. Mein Dorf im hauptstädtischen Speckgürtel bietet mir in dieser Beziehung nichts. Tote Hose. Da zieht man hin, um zu sterben. Was sich noch bewegt, sind – wie der Name schon sagt – überwiegend Speckgürtel. Kaum mal was Knackiges.
In Berlin dagegen gab es wie immer viel Leckeres zu sehen. Mit Wohlgefallen ruhte mein Blick – ja, worauf eigentlich? Soll ich es sagen? Ich bin verunsichert, weiß nicht, ob das von der Gesellschaft toleriert wird. (Von meiner Frau sowieso nicht.)
Seit Wochen lese ich in einer Hauptstadt-Zeitung, was ausländische Mitbürger bei einer Umfrage über ihre Wahlheimat Berlin zum Besten geben. Auf die Frage, worauf er bei einer Frau besonders achtet, hat noch keiner »Brust und Lende« geantwortet. Auch nicht unter Verwendung rustikalerer Begriffe. Niemand hat die Weichteile auch nur erwähnt. Kein einziger!
Ja, bin ich denn der letzte Gorilla? Stehengeblieben auf niederster Entwicklungsstufe, während schon ab Neandertaler das männliche Beuteschema auf die Augen der Frauen ausgerichtet wurde, auf gepflegte Hände und »innere Werte«?
Nein, ihr heuchlerischen Zugewanderten, ihr könnt uns viel von Augen erzählen. Spielen uns die Zivilisierten vor, die Frauenversteher. Davon lässt sich der deutsche Rentner nicht beeindrucken. Der ist aus anderem Holz. Er steht noch gut im Saft und guckt dorthin, wo es Spaß macht.
Die Augen der Frau, haha! Die kann man doch gar nicht sehen, wenn man hinter einem aufreizenden Hintern herhechelt. Bei meiner Pirsch durch Berlin lief ein prachtvolles Teil vor mir her, umspielt von einem dünnen Fähnchen im Leoparden-Look. So was will doch gejagt werden, dachte ich und legte einen Schritt zu. Mit künstlichem Hüftgelenk ist man nicht mehr der Schnellste, aber irgendwann war ich auf Reichweite heran und in Versuchung, sie mit einem leichten Klaps auf mich aufmerksam zu machen oder ihr wenigstens ein saftiges Kompliment hinzuwerfen (»Geiles Fahrgestell, ey!« oder so), da drehte sie den Kopf zur Seite …
Ich kam mir total verarscht vor! Im wahrsten Sinne des Wortes. Wackelt mit demselben, macht von hinten einen auf jugendlich – und ist in Wahrheit kaum jünger als ich! Was bildet sie sich ein? Spielen wir hier Rentner sucht Rentnerin? Gammelfleisch als Frischware anzubieten – das nenne ich arglistige Täuschung! Ich bin doch nicht Tom Kaulitz oder gar Schweini, nicht so ein Bastian, der auf ältere Damen mit Blazerzwang abfährt.
Was ist nur mit den Frauen los? Besonders bei Älteren vermisse ich zunehmend Seriosität und artgerechtes Verhalten. Viele Großmütter stricken keine Socken mehr und kochen keine Erdbeerkonfitüre. Lebensgierig streunen sie durch die Straßen, vornehmlich durch Schuhgeschäfte und Boutiquen. Meine Leoparden-Oma war beileibe kein Einzelfall. Ich bemerkte den Elan bei vielen Damen jenseits der 60, eine Lebenslust, die mit ihrem Alter und mit der Leistungsfähigkeit ihrer Gatten nur schwer in Übereinstimmung zu bringen war.
Kaum eine Rentnerin, die vor einem Top mit Spaghettiträgern zurückschreckt. Sogar weibliche Amtspersonen lassen den Ausschnitt immer tiefer rutschen. Wo nehmen die nur ihr Selbstbewusstsein her? Wollen sie ihre Männer alt aussehen lassen?
Auch privat habe ich die Erfahrung machen müssen, dass bei Frauen die Achtung vor dem Familienoberhaupt deutlich nachlässt, sobald es im Lehnstuhl sitzt. Es fehlt an Respekt. Mitunter hört man sogar abfällige Bemerkungen. Wer einst als »Goldschatz« den glanzvollen Mittelpunkt der Familie bildete, wird auf seine alten Tage mit beleidigenden Wörtern belegt. Dabei bin ich gar nicht träge und wehleidig, und ein Langweiler doch auch nicht.
Die Leoparden-Dame würde das sofort bestätigen. Ja, wirklich! Denn die Geschichte mit ihr ging noch weiter: Während ich die Versuchung niederkämpfte, ihr auf den Po zu klatschen, drehte sie sich unvermittelt um und sprach mich an: »Ach, junger Mann, Sie können mir sicher sagen, wo ich hier die Simon-Dach-Straße finde?«
Ich wusste es natürlich, war aber vollkommen verdattert. Hatte sie mich angequatscht? Sie – mich?! Hatte sie »junger Mann« gesagt? Ich kam ins Stottern, verwechselte links und rechts und muss überhaupt einen total uncoolen Eindruck gemacht haben.
Sie fasste mich am Arm. »Ganz ruhig«, sagte sie. »Ich schlage vor, wir setzen uns jetzt hier ins Café und Sie malen mir den Weg auf.« Wenn sie lächelte, sahen ihre Falten richtig nett aus. Ihre Augen (Augen!) waren groß und ließen tief blicken. Und auch sonst … Nach dem ersten Bier kehrten bei mir langsam die Reflexe zurück. Hopfen und Malz erleichtern die Balz.
Sie heiße Bridschit, sagte sie, aber ich könne auch Brigitte zu ihr sagen. Sie arbeite noch jede Woche ein paar Stunden, in einer Eheberatung, damit bessere sie ihre Rente auf, und ob ich nicht was Lustiges aus meinem Eheleben zu erzählen hätte, irgendwelche Beziehungsprobleme vielleicht, gerne auch im Bett …
Ich glaubte ihr kein Wort, aber sie war sehr lustig, ich erfand immer neuen Beratungsbedarf, und wir hatten viel zu lachen. Besonders witzig fand sie einen Spruch, den ich schon oft abgelassen habe: Frauen sind oft schwer zu verstehen, aber meistens gut zu begreifen.
»Gilt auch für Männer«, behauptete Bridschit und grinste frivol. Sie zeigte auf meinen Bauch: »Ein bisschen schwanger, wie?«, fragte sie scheinheilig. »Darf ich mal anfassen?« Ehe ich mich versah, strich sie mir sanft über die Wanne und flötete: »Ich spüre ganz deutlich das Herz. – Ja, wirklich. Meins! Willst du mal fühlen?«
Mir wurde heiß. Wollte sie wirklich ernst machen? Mich benutzen und dann womöglich wegwerfen wie einen alten Putzlappen?
Ein bisschen Spaß, das ging in Ordnung, aber lediglich als Lustobjekt betrachtet zu werden, das war demütigend. Man hat schließlich Charakter und lässt sich nicht von jeder hergelaufenen Dame missbrauchen, die weder ihre Triebe beherrscht noch Rücksicht auf anderer Leute Gefühle nimmt. Ich als Spielzeug in den Händen oder zwischen den Beinen einer Verrückten − welche Missachtung meiner Persönlichkeit. Unglaublich, was manche Damen sich herausnehmen! Noch in diesem Alter!
Ich warf 15 Euro für die Zeche auf den Tisch und ging.
»Ich wohne hier gleich um die Ecke in der Simon-Dach-Straße«, rief sie mir hinterher. Und lachte schallend!
Ich war empört: Wie konnte sie mich für so einen halten?! Ich bin doch kein Freiwild!