Leseprobe „Hinweis“

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Noch bevor der Roman beginnt, hat  der Verlag einen »Hinweis« platziert, der die Leser eher aufschreckt als aufklärt. Das dubiose Vorwort:

 

In diesem Buch finden sich Passagen, die mit einem Grauton unterlegt wurden. Die so markierten Textstellen sind als gestrichen zu betrachten. Zur Erklärung: Im Rahmen unserer Betreuungspflicht speziell gegenüber älteren Autoren haben wir das von N. O. Mennescio eingereichte Manuskript mit aller Sorgfalt bearbeitet und dabei insgesamt etwa 46 Seiten ausgemacht, die nach unserer Ansicht überflüssig oder gar ärgerlich waren, folglich entfallen konnten.

Die korrigierenden Eingriffe des Lektorats kenntlich zu machen, sie also nicht zu schwärzen, sondern lesbar zu halten, ist ungewöhnlich und – soweit wir wissen – einmalig in der deutschen Verlagslandschaft. Wir haben uns trotz des Einspruchs N. O. Mennescios dazu entschlossen, weil wir die Leistung des Autors angemessen relativieren und speziell dem germanistischen Fachpublikum auch dessen Verirrungen, Mängel und Unzulänglichkeiten nicht vorenthalten möchten. Ein Gebot der Redlichkeit, wie uns scheint. Den weniger literaturwissenschaftlich Interessierten empfehlen wir, die besagten Abschnitte zu ignorieren, damit der Lesegenuss nicht durch Peinlichkeiten, unnötige Längen und Abschweifungen beeinträchtigt wird.

Entschieden zurückweisen müssen wir den Vorwurf N. O. Mennescios, »das eitle Zelebrieren« unserer Lektoratsarbeit käme einer »öffentlichen Hinrichtung des Autors« gleich. Dies geht schon deshalb am Kern vorbei, weil ein Großteil der eliminierten Seiten – wie der Leser leicht nachprüfen kann – Second-hand-Texte sind, also von zweiter Hand verfasst. Zudem war an den Streichungen kein Lektor beteiligt. Unser kleiner Verlag muss aus Kostengründen auf professionelle Mitarbeiter verzichten; die Korrekturen beruhen allein auf kritischen Hinweisen von Freiwilligen aus Ost und West, wir nennen sie »Volkslektoren«: Erstleser erlesenen Geschmacks, denen wir uns verpflichtet fühlen. (Unser Dank gilt vor allem Bernd, sodann Franziska, Erika, Gerd, Hartmut, Heinz, Horst und Reiner.)

Die wichtigsten Änderungswünsche haben unsere »Volkslektoren« wie folgt begründet:

  • »Die gehäuft vorkommenden Schlüpfrigkeiten wirken – auch nach Ansicht meiner Frau – ein bisschen billig.« (Seiten 31, 38, 56, 72, 120, 237, 297)
  • »Hannis Rückblenden bis ins Mittelalter sind m. E. überflüssig, zu lang, stören den erzählerischen Fluss.« (Seiten 102 ff. und 173 ff.)
  • »Das nur leicht abgewandelte literarische Zitat (Seite 224 ff.) überzeugt mich nicht. Laufen die Randglossen des Autors nicht auf eine Verharmlosung des Systems hinaus?«
  • »Die fiktive Lesung (Seite 121 ff.) finde ich lächerlich. Schwachsinn hoch drei.«
  • »An der Stelle des Autors würde ich mich für den Gedanken an eine Preisverleihung, besonders aber für die Dankesrede schämen.« (Seite 312 ff).

Lediglich in einem Fall konnten wir dem Wunsch nach Streichung nicht nachkommen. Der Einwand lautete: »Das Klettern ist mehr als das Hobby des Protagonisten, es wird selbstverständlich als Metapher verstanden. Dass es dabei immer nur aufwärts geht, dem Gipfel entgegen, lässt sich mit der Entwicklung und dem Erscheinungsbild der DDR nicht in Einklang bringen. Die hier geschilderten Erfolge spiegeln eher die einstige parteipolitische Propaganda, keinesfalls jedoch die Wirklichkeit wider. Beschämend! Das Klettern muss raus!«

Das konnten und wollten wir Jodl, dem Kletterer, nicht antun. Wir hoffen auf das Verständnis der Leser.

 

Hannibal Lector, Ressort Betreutes Schreiben